Im Rahmen des Winterprogramms 2016

Ein Jahr auf großer Fahrt:

 

Eine junge fünfköpfige Familie erfüllt sich einen noch ebenfalls jungen Traum.

Mit dem Dickschiff die Welt - besser die nördliche Hemnispäre des Atlantik mit all seinen traumhaften Zielen - erobern.

Dies ist ihnen auf besondere Art wunderbar gelungen.

 

82 Mitglieder und Gäste lauschten em Vortrag, den uns die Crew der "Anne" vorstellte.

Wir sagen Herzlichen Dank für die Online- und nachträgliche Teilnahme an euerm tollen Erlebnis, die ihr uns möglich gemacht habt.

 

 

 

Von null auf 42 Fuß – Ein unvergessliches Familienjahr auf See

 

Vor einem Jahr im Oktober - wo waren wir da eigentlich, und was bewegte uns auf dem Törn unseres Lebens? Mitte Oktober erreichten wir Lanzarote auf den kanarischen Inseln und damit unseren späteren Absprungspunkt, der uns auf die über 3000sm lange Non-Stop Fahrt über den Atlantik Richtung Karibik führen sollte. Der damalige Blogeintrag lautete „La Graciosa – kneif mich mal“ und im darauffolgenden Textabschnitt ist am 15.10.2014 zu lesen: „Kann das alles wahr sein, fragen wir uns immer wieder, sind wir wirklich bis fast nach Afrika gesegelt?“.

 

Auch ein Jahr später und weiteren 10.000 sm im Kielwasser, ist dieser Eindruck noch immer nicht ganz verdaut. War das alles nur ein Traum, oder sind wir wirklich zusammen mit der Familie in die Karibik und dann über die Bahamas, Bermuda und die Azoren wieder zurück nach Europa gesegelt?! Ja, sind wir, das sagen zumindest die fast 15.000 Bilder, die wir geschossen haben und die diversen Log- und Blogbucheinträge.

 

Im Mai 2012 haben Annette und ich im Rahmen der tollen WSV-Ausbildung den SKS-Praxistörn absolviert, ein Jahr zuvor im September 2011 waren wir zum ersten Mal mit der Familie auf einer echten „Yacht“, mit der MÜCKE, einer Varianta 65 auf der Müritz unterwegs. Junge, waren das seinerzeit vielleicht anspruchsvolle Hafenmanöver mit dem „riesen“ 6 PS Außenborder.  Ein Geistesblitz, oder wohl eher weibliche Intuition meiner wunderbaren Frau Annette führte uns dann Anfang  Januar 2013 auf die „boot- Düsseldorf“ zu einem Blauwasser Seminar. Als jahrelanger Wasserverrückter braucht es wenig Überredungskunst, mich für das Wochenende zu begeistern. Es folgen zwei wunderbare und lebenswegverändernde Tage mit Gleichgesinnten, die mit einer Vielzahl an Informationen und Eindrücken gespickt sind. Mit der Frage: „Wer bricht dieses Jahr, wer bricht nächstes Jahr auf und wer träumt vielleicht erst noch...?“, leitet der Seminarleiter Sönke Roever das Seminar ein. Losfahren tun wir sicherlich nicht, aber träumen wir eigentlich von einer Langfahrt mit dem Schiff? Annette die bereits diverse Weltenumseglerlektüren verschlungen hat, träumt ganz bestimmt jedoch ohne, dass ich davon tiefere Kenntnis habe, wir je darüber gesprochen hätten. Vielmehr wurde ganz konkret von der Erneuerung der 20 Jahre alten Einbauküche geträumt, nicht aber von der Anschaffung eines Bootes. Doch was ist mit mir? Habe ich das Träumen verlernt, oder träume ich vielleicht von ganz anderen Dingen? Die Rückfahrt nach Hannover mit dem Auto verläuft bei Schneegestöber mit endlosen Gesprächen rund um die gestellte Frage und die Eindrücke der vergangenen Tage. Eine Antwort werden wir erst Wochen später für uns erhalten. Wochen in denen wir mit solch einer Intensität träumen mit Bildern die so bunt sind, wie wir sie nie zuvor gesehen haben. Am Horizont sehen wir eine intensive Familienzeit, endlose Sonnenuntergänge, Wärme und ganz viel Wasser. Ein Traum, der wie wir finden, sich lohnt, weiter geträumt und realisiert  zu werden! Wer braucht schon eine neue Küche. Planen, kalkulieren und agieren, so verbringen wir die nächsten Monate und sind dann tatsächlich kurz vor Saisonende 2013 im Oktober Eigner unser wunderschönen eigenen Yacht ANNE, einer Beneteau 423 aus dem Jahre 2005.

 

Der Weg bis zu den Kanaren und die Atlantiküberquerung verläuft so, wie man es sich wohl in Seglerkreisen nur erträumt. Solange Kurs Süd bis die Butter schmilzt, dann im Passatwind an den Kapverden vorbei und quer über den Atlantik ab nach Westen. Trotz eines heranrauschenden Südweststurmes, den wir frühzeitig erkennen und auf den Kanaren in der sicheren Marina abwettern, fahren wir mit einer Woche Verspätung den anderen Rally-Teilnehmern der Atlantic Odyssey, einer ARC ähnlichen Neuauflage von Jimmy Cornell, hinterher. Ohne den geringsten Zweifel kappen wir die Festmacher und segeln auf unser uns nun schon sehr vertrauten „Amazing ANNE“ gemächlich hinter der Flottille her. Unsere größte Sorge während der 23 tägigen Atlantiküberfahrt ist, dass unsere Odyssey Freunde bei unser Ankunft vielleicht schon weitergezogen sind.

 

Das Wiedersehen und die sich anschließenden Wochen in der Ost-Karibik verlaufen im Faktor 4 – halbe Lebensgeschwindigkeit, doppelter Genuss – herrlich entschleunigt und einfach nur traumhaft. Wir genießen unsere Zeit als Familie in vollen Zügen, das Entdecken neuer ungewohnter Orte und die Zeit mit unglaublich vielen bereichernden Menschen in der Ferne. Auch wenn für uns Segeln eher „Mittel zum Zweck“ ist, lieben wir nach den langen Überfahrten die kurzen Daytrips in der Karibik. Regen und Sonne sind nicht voneinander zu trennen, bekommen jedoch durch die Wärme und die wunderbare Lichtintensität einen ganz anderen Geschmack. „Liquid Sunshine“ nennen die Bewohner der Naturinsel Dominica den Regen, stets mit einem einnehmenden Lächeln und herzlicher Freundlichkeit. Während der Monate Dezember 2014 bis März 2015 bereisen wir die kleinen Antillen, angefangen vom südlichsten Punkt Grenada bis zu den britischen Jungferninseln am nördlichen Rand. Jede der Inseln ist einzigartig und lohnend, besucht zu werden. Verglichen mit Europa ist die Ost-Karibik aber auch teuer, da jeder Stopp auf einer der selbständigen Inseln mit behördlichen Gebühren für das Ein- und Ausklarieren verbunden ist. Allein für diese Ausgabenkategorie geben wir auf der gesamten Reise ca. 2000 Euro aus.

 

Während der Monate April und Mai 2015 bereisen wir die Bahamas und machen auf dem knapp 700sm langen Weg dorthin in der Dominikanische Republik und auf den Turks und Caicos zwei Zwischenstopps. Die Bahamas sind erst recht spät, genauer auf den Kanaren, auf unseren Tourplan gerückt. Im Rahmen der Atlantic Odyssey Seminare die vor Ort in der Marina Lanzarote eine Woche vor der Atlantiküberquerung kostenfrei für alle Interessierten abgehalten werden, erfahren wir allerhand nützliches, unter anderem auch etwas über die Sehenswürdigkeiten der Karibik. Während sich die Ostkaribik (St.Lucia, Martinique, Dominica etc.) durch eine atemberaubende Flora und Fauna sowie ein abwechslungsreiches Landesinnere hervortut, so liegen die Vorzüge der Bahamas und der Turks & Caicos im bzw. auf dem Wasser. Flaches Land und karge Fauna werden mit Traumstränden, kristallklarem Wasser und der Fischvielfalt an idealen Schnorchel- und Tauchriffen allemal wettgemacht.

 

Angefangen mit dem Verlassen der britischen Jungferninseln, spätestens jedoch mit dem Aufbruch von den Bahamas nach Bermuda, wird der Wetterbeobachtung ein noch höherer Stellenwert zugewiesen. Fernab der verlässlichen Tradewinde, die beständig Wind in der Stärke von 4-7 Beaufort von Ost nach West blasen, herrscht hier nun keine klare und beständige Wetter- und Windlage mehr. Dies macht sich zum einen bei der Wahl des Ankerplatzes und erst recht bei der anstehenden Routenplanung bemerkbar. Die bewährten Wettergribfiles von Wetterwelt.de sowie die Konsultation des lokalen Wetterpapstes Chris Parker helfen uns erneut, den perfekten Zeitsprung für den Absprung aus der Karibik zu finden. Bereits beim Verlassen der Kanaren war uns bewusst, dass der Atlantikrückweg in der Literatur üblicherweise als weit anspruchsvoller gilt, als der Hinweg in westlicher Richtung. Doch schon der Ritterschlag von Jimmy Cornell in London "No problem, you've got a strong boat and great crew!" stimmt uns zuversichtlich das Wagnis einzugehen.

 

Die Vorhersagepräzision unser Wetterdaten ist erstaunlich genau, und so schaffen wir es, durch Abwarten auf das nahezu ideale Wetterfenster sowohl für den Weg von den Bahamas nach Bermuda, als auch den 1800sm weiten Weg von Bermuda zu den Azoren perfekt zu timen. Dank unseres sparsamen 75PS Yanmar Motors sowie zusätzlich 200 Litern Diesel die wir in Kanistern an und unter Deck mitführen, können wir eine Strecke von 800sm in knapp sieben Tagen über den spiegelglatten Atlantik hinweg motoren und entwischen somit erneut schlechtem Wetter vor unserer Ankunft auf Horta, Faial.

 

Die letzten und kürzeren Etappen zum Festland (Azoren-La Coruna 600sm, Biskaya 380sm, Brest-Hamburg, 500sm) verlaufen bis auf den Komplettausfall unseres geliebten AIS (Automatic Identification System) Sicherheitssystems kurz vor dem Verkehrstrennungsgebiet von Kap Finisterre problemlos, gehören aber zu den anspruchsvolleren der Reise. Während uns der Sommer 2014 mit Wärme in Nordeuropa verwöhnte, so hält sich das Willkommenswetter im Sommer 2015 eher zurück. Regen und Temperaturen um 15 Grad zwingen uns nach dem Verlassen der Azoren die Schlechtwetterkleidung hervorzuholen. Den um 20 Grad gefühlten Kälteeinbruch nimmt nur der wachhabende elterliche Teil der Crew war. Die Kinder bleiben bis Cuxhaven bei ihrem Einheitsdress "Shorts with / without T-Shirt" und verweilen beinahe ganztägig in ihren Kojen, die Nasen tief in eines der vielen Bücher gesteckt.

 

Am 1. August 2015 endet der Törn vorerst im Hamburger Cityhafen mit einem sonnigen Empfang im Herzen Hamburgs. Nach kurzem Aufenthalt in Hannover, wird unser geliebtes Schiff ANNE leergeräumt, an ihren Heimathafen Heiligenhafen von uns überführt und wenig später an die neuen Eigner übergeben. Kann man sein Herz so einfach verkaufen? - fragt uns der ein oder die andere. Ja, man kann, wenn auch unter Schmerzen. Wir haben ANNE für knapp zwei Jahre unser Eigen nennen dürfen und davon jeden Tag an Bord genossen. Es verging fast kein einziger Tag an Bord, ohne Arbeit am Schiff, jedoch auch keiner, ohne das wunderbare Gefühl, etwas Einmaliges zu planen und zu unternehmen.

 

Nach 13.000 sm oder 24.0000 km gefahrener Strecke im Kielwasser, 20 besuchten Ländern, 180 Segeltagen, 70 Nachtfahrten und ca. 175 Übernachtungen vor Anker sind wir vielleicht nicht im Paradies gewesen, haben jedoch ein gutes Gefühl erhalten, wie es sich dort wohl anfühlen mag. Der Virus 'Langfahrt' hat uns befallen, und wir wünschen uns sehr, diesen zu einem späteren Zeitpunkt mit einer erneuten Fahrt weiter ausleben zu können.

 

ANNE ahoi!

 

Crew der SY ANNE

Nette, Stefan, Lasse (11), Neele (9) und Torge (7). - Anne-ahoi.de